Schwimmender Barock
Aufgezeigt wird die Wechselwirkung von repräsentativen Schiffsgestaltungen und herrschaftlicher Gebäudearchitektur in Frankreich und welchen Einfluss diese auf die Leitmotive des Barock und seiner Spätform, des Rokoko, hatte. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der Schiffshecks, speziell im barocken Frankreich. Dort war der Schiffbau geprägt von strengen Organisationsstrukturen, hoch qualifizierten Künstlern und Wissenschaftlern sowie engen personellen Verbindungen zum Schlossbau. Exakt aus diesen Gründen lässt sich der Ursprung des Rokoko auf den Schiffbau Frankreichs zur damaligen Zeit zurückführen, so die These der Ausstellung.

Leihgabe Internationales Maritimes Museum Hamburg, Foto: SDTB / C. Kirchner
Architektur als Mittel zur Darstellung souveräner Macht

© Musée national de la Marine, Paris
Insbesondere die absolutistischen Herrscher wie der Sonnenkönig Ludwig XIV. und sein Nachfolger Ludwig XV. betrieben die Inszenierung ihrer Machtstellung mit großem Aufwand. Dabei beschränkte sich ihre repräsentative Herrschaftsarchitektur nicht nur auf ortsfeste Bauten an Land. Auch die großen dreimastigen Segelschiffe wurden, insbesondere in ihrem weithin sichtbaren Heckbereich, nach Art einer Gebäudearchitektur entworfen. Aus dem bloß funktionalen, teils mit Dekor geschmückten Heckelement entwickelte sich eine regelrecht architektonisch gestaltete Schiffsheckfassade.
Mit dieser architektonisch geprägten Baukunst des Schiffes – der architectura navalis – begann ein neues Kapitel der Schiffbaugeschichte. Die Schiffe wiesen die für den Barock typischen Architekturmerkmale auf, die von Schlössern und Palästen bekannt sind: dreigeschossige Stockwerksgliederung, Erscheinungstüren und -balkone, Giebel, Portraitmedaillons, Risalite sowie Stütztrompen, Sockel und Verdachungen.
Übertragung von Land auf See und zurück

Leihgabe Gipsformerei Staatliche Museen zu Berlin, Foto: SDTB / C. Kirchner
Durch eine Reihe kreativer Schritte wurden die architektonischen Bauteile und Gestaltungsprinzipien repräsentativer Gebäudefassaden auf den komplex geformten Schiffskörpern verwirklicht. Auch Dekorelemente, wie die früher schon auf Schiffen vorhandenen Muschelornamente, wurden in diesen Prozess einbezogen und besonderen Verformungen unterworfen.
In der Gegenrichtung zur Übertragung ortsfester Architektur auf Schiffe lässt sich für das Rokoko (Spätbarock) ein besonderer Rücktransfer vom Meer auf das Land rekonstruieren. Die aus der Schiffsarchitektur stammenden Asymmetrien, besonderen Gliederungen und Formgebungen – allen voran beim Motiv des Muschelrandes – hielten Einzug in die Innengestaltung repräsentativer Gebäude.
Prunkvolle Schiffsmodelle, Riesenmuschelschale und Zeichnungen
Auf 250 Quadratmetern sind hochwertige Schiffsmodelle, Kunstgegenstände, Entwurfszeichnungen und Architekturfragmente zu sehen. Höhepunkte der Schau sind ein Spantenmodell aus dem 18. Jahrhundert, eine Riesenmuschelschale mit circa 100 Zentimetern Durchmesser sowie die Reproduktionen eindrucksvoller Entwurfszeichnungen aus der Feder der bedeutendsten Schiffsgestalter Jean Bérain (1640-1711) und François-Antoine Vassé (1681-1736), die als Vorlagen für die realen Schiffe dienten.
Die Architektur des Barock war reich an Zierformen. Wie schon in der italienischen Renaissance war auch im barocken Preußen die Muschel ein beliebtes Motiv.
Leihgabe Stiftung Humboldt Forum Berliner Schloss, Foto: SDTB / C. Kirchner
In dieser Zeichnung von Jean Bérain aus dem Jahr 1691 ist die Galionsfigur der L‘AMBITIEUX mit Waffengurt und Kürassierhelm ausgestattet. Sie spielt auf den Sonnenkönig an, der erfolgreich im Krieg agieren soll.
© Service historique de la Défense, Vincennes
Barocke Schiffshecks und Muschelformen sind zentrale Themen der Sonderausstellung „Architectura navalis – Schwimmender Barock“ im Deutschen Technikmuseum. Eine Riesenmuschel stimmt darauf ein.
Leihgabe Museum für Naturkunde Berlin, Foto: SDTB / C. Kirchner
Die Prinzipien der geometrischen Ordnung von Architekturen finden sich auch in der Schiffsarchitektur wieder: Auf dieser Entwurfszeichnung der LE TRITON von François-Antoine Vassé aus dem Jahr 1724 ist eine Hilfskonstruktion fein gezeichneter Linien erkennbar. Aus diesen lässt sich ein Raster rekonstruieren, das allen Untergliederungen der Heckfassade zugrunde liegt.
© Service historique de la Défense, Vincennes, Analyse nach J. Pieper
Das Keyvisual der Ausstellung „Architectura navalis – Schwimmender Barock“ zeigt die filigrane Zeichnung eines barocken Schiffs. Die blauen Farbkleckse symbolisieren das für das Thema zentrale Element Wasser.
© BNF / Illustration: Schielprojekt GmbH