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Eine Person in einem grünen Arbeitsanzug mit der Aufschrift "Sorryfornothing" arbeitet daran, eine braune Metallwand abzubauen.

Dekolonisierung des Museums

Das Deutsche Technikmuseum nimmt koloniale Sammlungsthemen in den Blick. Die Dekonstruktion eines problematischen Moduls zum brandenburgischen Versklavungshandel setzt den Startpunkt für einen umfassenderen Dekolonisierungsprozess.

Raum für verdrängte Geschichte

Der transatlantische Versklavungshandel gilt als eine der größten Zwangsmigrationen der Menschheitsgeschichte, brachte unvorstellbares Leid über die versklavten Menschen afrikanischer Herkunft und wirkt sich bis heute auf das Leben Schwarzer Menschen aus. Dass auch Deutsche an diesem Menschenhandel beteiligt waren, ist nur wenig bekannt und erfährt erst nach und nach mehr kritische Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.

In der Dauerausstellung Schifffahrt im Deutschen Technikmuseum wurde von 2003 bis 2020 ein Ausstellungsmodul zum brandenburgisch-preußischen Versklavungshandel präsentiert. Der Bereich sollte dazu beitragen, diesen Teil der regionalen Geschichte bekannter und sichtbarer zu machen. Eine Inszenierung innerhalb des Moduls hat in den Jahren ihres Bestehens berechtigte Kritik von Aktivistinnen und Aktivisten zivilgesellschaftlicher Vereinigungen erhalten, wie etwa der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und Berlin Postkolonial. Sie kritisierten die Inszenierung als eine vereinfachte und unangemessene Darstellung dieses traumatischen Kapitels der Geschichte. Schwarze Menschen wurden im Ausstellungsmodul auf ihre Körperlichkeit und ihren Opferstatus reduziert gezeigt – passiv, objektifiziert und ohne eine eigene, widerständige Geschichte.

Am 23. August 2020 wurde das Ausstellungsmodul in einer künstlerischen Performance dekonstruiert. Dies war der Ausgangspunkt für einen neuen Umgang mit dem Thema. Der entstandene leere Raum ist das Ergebnis des Abbaus, ein Kunstwerk von Monilola Olayemi Ilupeju und Philip Kojo Metz und als „Leerstelle“ zugleich ein experimenteller Raum für postkoloniale Debatten und Kooperationen. Es ist ein Ort, um gemeinsam in Austausch zu treten, zuzuhören und zu diskutieren, wie ein zukünftiges Ausstellungsmodul zum Versklavungshandel verfasst sein muss - um wichtige Perspektiven, vernachlässigte Narrationen und empowernde, widerständige Erzählungen Schwarzer Menschen als handelnde Akteurinnen und Akteure in die Darstellung zu integrieren.

Dekonstruktion kolonialer Geschichte(n)

Der 23. August ist der internationale Tag der Erinnerung an den Versklavungshandel und dessen Abschaffung. Aus diesem Anlass setzten sich die Künstlerin Monilola Olayemi Ilupeju und der Künstler Philip Kojo Metz 2020 in zwei ineinandergreifenden Performances kritisch mit der Inszenierung auseinander. Mit ihren Performances wollten die beiden Kunstschaffenden symbolisch einen Prozess der Dekolonisierung von Museen anstoßen.

Monilola Olayemi Ilupeju sammelte in ihrer Aktion „Wayward Dust“ den Staub auf, der sich über die Zeit in der Inszenierung angesammelt hat. Staub besteht zu einem Großteil aus organischem Material wie Hautschuppen. Sie stammen von den Menschen, die das Museum besuchen und darin arbeiten. Dieser Staub symbolisiert auch die Zeit, die seit der Eröffnung der Installation verstrichen ist, und verweist auf den Veränderungsbedarf im Museum. Er ist außerdem ein Zeichen von Leben und steht im Kontrast zu jenen leblosen Figuren aus Styropor der Installation, die nicht in diese Entwicklung passen.

Philip Kojo Metz konzentrierte sich auf die Dekonstruktion der Hülle und der vielen Bauteile der Inszenierung. In seiner Performance SEK – SORRY FOR NOTHING EINSATZ KOMMANDO baute er zusammen mit seinem Team die gesamte Inszenierung ab und dekonstruierte somit zugleich die Erzählung auf symbolische Weise. Er schuf mit seinem Team eine Leerstelle, die auf die Leerstellen in der deutschen Geschichtserzählung verweist.

Ästhetischer Kommentar zu SORRYFORNOTHING vom Philosophen Pablo Genazzano

Die Performances sind über den YouTube-Kanal des Deutschen Technikmuseums abrufbar. Das Video hat eine Länge von knapp sechs Stunden, die Kernzeit umfasst die ersten beiden Stunden.

Raum für Diskurs, Workshops und Austausch

Ein Mann und drei Frauen sitzen in einem Stuhlkreis und unterhalten sich. Der Mann und eine Frau haben eine dunkle Hautfarbe. Im Hintergrund sind Museumsobjekte zu sehen.
Workshop in der „Leerstelle“ der Schifffahrtsausstellung zum Thema alltägliche Rassismuserfahrungen.
Foto: SDTB

Unterstützt vom Projektverbund Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt hat das Deutsche Technikmuseum den Prozess der Dekolonisierung begonnen. Seit Ende 2021 schließt die aktuelle Arbeit auf der Fläche der „Leerstelle“ an den Prozess an, der im Rahmen des Förderprojektes „Kolonialgeschichte im Deutschen Technikmuseum – ein neuer Umgang mit dem brandenburgisch-preußischen Versklavungshandel“ begonnen wurde.

Im interdisziplinären Verbund aus Kunstschaffenden, Kuratorinnen und Kuratoren, Kooperationspartnerinnen und -partnern und den Museumsbereichen Schifffahrt und Outreach beleuchtet ein Team das Thema des Versklavungshandels unter der Einbeziehung vormals marginalisierter Perspektiven. Ziel des Austausches ist es, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln, die als Basis für ein zukünftiges Ausstellungsmodul dienen kann. In monatlichen Workshops geben externe Expertinnen und Experten of Color Input und ergänzen die partizipative und co-kurative Arbeitsweise. Der Fokus liegt hierbei auf den Perspektiven von Menschen, die von Rassismus betroffen sind und umfasst historische wie zeitgenössische Kontexte. In einem agilen Prozess aus Sensibilisierung, Austausch und Kollaboration entstehen sowohl konkrete Ausstellungsideen und Formate als auch langfristige Veränderungsimpulse, die perspektivisch auf das gesamte Museum ausgeweitet werden sollen.

Gemeinsam entstand der Wunsch, das Thema des Versklavungshandels zukünftig so zu kontextualisieren, dass vor allem Kindern, Jugendlichen und Schulklassen eine Auseinandersetzung mit (de)kolonialen Fragestellungen ermöglicht wird. Das Modul soll anhand bislang verdrängter Geschichten und Biographien, Schwarze Menschen als handelnde Akteurinnen und Akteure in den Fokus nehmen und historische Narrative und Darstellungsweisen aufbrechen. Der enge Fokus auf den brandenburgischen Versklavungshandel erlaubt es historische Machtverhältnisse, Abhängigkeiten und globale Verflechtungen in den Blick zu nehmen und zeitgleich neue Formate von Vermittlung, Alltagsbezügen und Auseinandersetzung zu finden.

Dieses Projekt bildet die Basis für den langfristigen Dekolonisierungsprozess im Deutschen Technikmuseum, der perspektivisch auf das gesamte Museum ausgeweitet wird.

Einen ersten Meilenstein innerhalb des Prozesses stellt die Beteiligung des Deutschen Technikmuseums als Standort des Dekoloniale Festivals 2022 dar.

Neuerscheinung

Das Museum dekolonisieren?

Deutsches Technikmuseum, Stadtmuseum und Brücke-Museum geben Einblicke in die Anfänge der Dekolonisierung ihrer Museumspraxis.