Unsere Zielsetzung
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Verfolgten des NS-Regimes entrechtet, beraubt, verfolgt und ermordet. Ihr Eigentum wurden eingezogen oder musste unter Zwang verkauft werden. Nach solchem NS-Raubgut, genauer NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, zu suchen, ist die wichtigste Aufgabe der Provenienzforschung.
Untersuchung der Kraftfahrzeuge
2017 ließ das Deutsche Technikmuseum durch die Firma Facts & Files seine Sammlung historischer Kraftfahrzeuge überprüfen. Ziel war es zu erforschen, ob sich unter den Fahrzeugen solche befinden, die während des Nationalsozialismus ihren als Juden verfolgten Vorbesitzerinnen und Vorbesitzern entzogen wurden. Bei 92 Fahrzeugen konnte die Herkunft nicht vollständig geklärt werden. Sie wurden in die öffentliche Datenbank LostArt eingetragen, damit sich Nachfahren der Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer oder Forscherinnen und Forscher an das Museum wenden können.
Wie kann Provenienzforschung an einem technischen Museum gelingen?
Gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste begann 2019 ein Modellprojekt am Deutschen Technikmuseum. Es sollte geklärt werden, wie Provenienzforschung angesichts der Besonderheiten technischer Sammlungen gelingen kann. Denn Sammlungsobjekte wie Autos, Radios oder Schreibmaschinen sind meist seriell hergestellt und damit keine Einzelstücke wie etwa Gemälde. Diese sind oft mit Eigentumshinweisen wie Etiketten und Stempeln versehen, welche bei technischen Objekten meist fehlen. Zahlreich vorhanden sind jedoch die vom Hersteller vergebenen Seriennummern. Diese können mit Auftrags- oder Lieferbüchern der Produzenten abgeglichen werden, um den ersten Käufer zu finden.
Eine weitere wichtige Quelle sind die Wiedergutmachungsakten im Landesarchiv Berlin. In ihnen sind die Anträge auf „Wiedergutmachung“ nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Verfolgten oder ihre Nachkommen verzeichnet. Vereinzelt findet man in den Akten Beschreibungen der geraubten Gegenstände, darunter Fahrzeuge, Messgeräte, Schreibmaschinen oder Fahrräder.
Aktuelles Projekt 2020-2025
Auf diese Grundlagenforschung aufbauend startete im Mai 2020 ein weiteres Projekt, ebenfalls gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Schwerpunkt ist wiederum die Erforschung der Objekte auf einen möglichen Entzug im Nationalsozialismus.
Im Projekt werden alle Objekte untersucht, die das Deutsche Technikmuseum seit seiner Gründung 1982 bis zum Mauerfall 1989 erworben hat und die vor 1945 hergestellt wurden. Die mehr als 3.500 Gegenstände entstammen allen Sammlungsbereichen und reichen vom Kinderspielzeug über Textilien bis hin zu Dampflokomotiven. Objekte aus Archiv und Bibliothek des Deutschen Technikmuseums werden im Rahmen des Projektes nicht untersucht.
Ziel ist es, Raubgut der Nationalsozialisten zu identifizieren, Erbinnen und Erben zu ermitteln und gemeinsam mit ihnen faire und gerechte Lösungen gemäß der Washingtoner Prinzipien zu finden.
Hier werden zwei Ergebnisse dieser Forschung kurz vorgestellt:
Drucksteine der Firma Paul Pittius
In einem Fall ging es um sechs Drucksteine, bei denen der Verdacht bestand, dass es sich dabei um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelte. Nach langen Recherchen konnte das Deutsche Technikmuseum die Geschichte der Brüder Julius und Martin Gerson ermitteln. Sie waren Besitzer der „Steindruckerei und Luxuskartenfabrik Paul Pittius“ in Berlin. Da sie als Juden und politische Gegner von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, mussten sie ihre Firma unter Zwang verkaufen. Beide Brüder wurden verschleppt und ermordet.
Die Enkelin von Julius Gerson, die in den USA lebende Miki Marcu, konnte mit Hilfe von Familienangehörigen kontaktiert werden. Sie hat dem Museum die Drucksteine überlassen unter der Bedingung, dass im Museum zukünftig an ihren Großvater und dessen Bruder erinnert wird. Im August 2023 wurde in Anwesenheit von Familienangehörigen ein Gedenkstein für die Brüder Gerson eingeweiht. Besucherinnen und Besucher können sich nun in der Ausstellung zur Drucktechnik oder in der Online-Ausstellung „Drucksteine erzählen. Die Geschichte der Brüder Gerson und ihrer Steindruckerei Paul Pittius“ über die Brüder und ihre Firma informieren. Auch die von der Firma Paul Pittius genutzte Technik des Steindrucks wird im Museum regelmäßig vorgeführt.
Buch aus einer französischen Mädchenschule
Im Dezember 2021 hat das Deutsche Technikmuseum ein Buch zurückgegeben, das von deutschen Besatzungstruppen während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich geraubt wurde. Es war die erste Rückgabe des Museums. Zurückgegeben wurde das 1920 publizierte Buch „Le fond de la mer (Der Meeresgrund)“ des französischen Meereszoologen Louis Joubin, das die Meere und ihre Bewohner beschreibt.
Die Herkunft des Buches konnte durch einen Stempelabdruck auf dem Titelblatt ermittelt werden. Dieser führte ins französische Pontlevoy. In dem kleinen Ort in der Nähe von Tours befand sich früher eine Mädchenschule, aus der das Buch geraubt wurde. Heute befindet sich an gleicher Stelle das Lycée catholique de Pontlevoy, dessen Leiter das Buch im Beisein der Schülerinnen und Schüler entgegennahm.
Langfristige Suche nach NS-Raubgut
Mittlerweile verfügt das Deutsche Technikmuseum über zwei fest angestellte Mitarbeitende für die Provenienzforschung. Die Suche nach NS-Raubgut in der eigenen Sammlung ist damit auch langfristig und projektunabhängig gesichert.