Architectura navalis
Das Deutsche Technikmuseum zeigt vom 11. Oktober 2018 bis 30. April 2020 die Sonderausstellung „Architectura navalis - Schwimmender Barock“.
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Pressemitteilung
Architectura navalis – Schwimmender Barock
Sonderausstellung im Deutschen Technikmuseum
Laufzeit: 13. November 2019 bis 10. Mai 2020
Was verbindet ein Barockschiff mit einem Rokoko-Palast? Die Sonderausstellung „Architectura navalis ⎼ Schwimmender Barock“ im Deutschen Technikmuseum macht es deutlich. Vom 11. Oktober 2018 bis 13. Oktober 2019 ist sie in der Schifffahrt-Ausstellung im Neubau des Museums zu sehen. Auf 250 Quadratmetern thematisiert die Ausstellung den wechselseitigen Einfluss zwischen barocken Herrschaftsarchitekturen an Land und der Architektur von Schiffen, der architectura navalis. Kuratiert wurde die Schau von Maike Priesterjahn, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sammlungsbereich Schifffahrt und Nautik des Deutschen Technikmuseums, konzipiert wurde sie in Kooperation mit der RWTH Aachen und dem Architekturhistoriker Prof. Dr. Jan Pieper, auf dessen Forschungsergebnissen sie weitgehend basiert.
Riesenmuscheln und Schiffsmodelle
Die Ausstellung gliedert sich in fünf Themenbereiche – die Entwicklung der Schiffsheckarchitektur, die Heckfassade im Frankreich des Ancien Régime, die Herrschaftsikonografie der französisch barocken Heck-fassade, die Geometrie der barocken Heckfassade und die Rocaille als Leitmotiv des Rokoko. Sie entführen die Besucherinnen und Besucher durch opulente Grafik, Schiffsmodelle, Entwurfszeichnungen und Kunst-gegenstände in die ausdrucksstarke und formengewaltige Epoche des Barock und seiner Spätform, des Rokoko, also etwa in die Zeit von 1575 bis 1770. Höhepunkte der Schau sind ein originales Spantenmodell eines Schiffes aus dem 18. Jahrhundert, das vom Musée national de la Marine in Paris zur Verfügung gestellt wurde, eine Riesenmuschelschale aus dem Museum für Naturkunde in Berlin sowie die Reproduktionen eindrucksvoller Entwurfszeichnungen aus der Feder der bedeutendsten Schiffsgestalter im barocken Frankreich, Jean Bérain (1640-1711) und François-Antoine Vassé (1681-1736).
Der Ursprung des Rokoko liegt im barocken Schiffbau Frankreichs
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Entwicklung der Schiffshecks im Barock, speziell in Frankreich, wo der Schiffbau geprägt war von strengen Organisationsstrukturen, hoch qualifizierten Künstlern und Wissen-schaftlern sowie engen personellen Verbindungen zum Schlossbau. Genau aus diesen Gründen, so die These der Ausstellung, lässt sich der Ursprung des Rokoko auf den Schiffbau des barocken Frankreich zurückführen.
In der Epoche des Barock unternahmen die führenden Seenationen Spanien und Portugal, sowie zunehmend auch die Niederlande, England und Frankreich Anstrengungen, ihre militärische Stärke herauszustellen. Insbesondere die absolutistischen Herrscher in Frankreich, vor allem der Sonnenkönig Ludwig XIV. und sein Nachfolger Ludwig XV., betrieben die Inszenierung ihrer Machtstellung mit großem Aufwand. Neben prächtigen Bauten dienten ihnen dazu auch ihre Schiffe. Als schwimmende Repräsentationsobjekte trugen sie die Stellung des königlichen Souveräns auf die Meere hinaus und in entfernte Gegenden der Welt. Dabei kam insbesondere dem Schiffsheck große Bedeutung zu: Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert entwickelte es sich von einem bloß funktionalen, teils mit Dekor geschmückten Element zu einer architektonisch gestalteten Fassade.
Komplexe Architektur – Übertragung von Land auf See und retour
Die Übertragung von Architekturelementen auf ein Schiffsheck ist eine komplexe Angelegenheit. Bei jedem Aufmodellieren der meist rechtwinkligen und achsensymmetrischen Gebäudearchitekturelemente auf das Heck kommt es zwangsläufig zu geometrischen Verfremdungseffekten, denn der Schiffsrumpf ist gewölbt und nach achtern – also Richtung Heck – verkippt. Zudem verjüngt er sich oberhalb der Wasserlinie. Erst eine Reihe kreativer Schritte französischer Schiffsgestalter ermöglichte eine Anpassung der Architekturelemente an die Schiffsrümpfe. Jan Pieper hat herausgearbeitet, dass Schiffsgestalter im barocken Frankreich ein wohl-konstruiertes System entwickelten, um den ästhetischen Anforderungen im Sinne der klassischen Architektur zu genügen. So konnte Pieper den von ihm untersuchten Schiffsentwürfen entnehmen, dass die Bauglieder einer strengen geometrischen Ordnung mit harmonischen Proportionen folgten.
Kunstvoll ausgearbeitetes Bildprogramm
Zur ästhetischen Wirkung der königlichen Schiffe Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. trug auch das kunstvoll aus-gearbeitete Bildprogramm bei, das sich vom Schiffsheck bis zur Galionsfigur erstreckte. Das ikonografische Programm eines Schiffes bezog sich stets auf den Herrscher und dessen tatsächliche oder idealisierte Eigenschaften, Attribute und Rollen. Dabei wurde auf bekannte Themen, Formen und Motive aus Literatur, Malerei und Bildhauerei zurückgegriffen. Die Schiffsgestaltung im barocken Frankreich liefert deshalb aufschlussreiche Einsichten in das Selbstverständnis der französischen Könige in dieser Epoche.
Der Ursprung der Rocaille
Die Ausstellung mündet in die These, dass der Ursprung der heute als stilistisches Leitmotiv des Rokoko vertrauten Rocaille – jener Muschelform mit ihrer konstruierten Asymmetrie, der deutlichen Achsen-verkippung und dem augenfälligen Muschelrand – als ein besonderer Rücktransfer vom Schiff aufs Land zu betrachten ist. Darauf deuten unter anderem intensive Verbindungen der Architekten und ihrer Bauherren zu Marine- und Schiffbaukreisen hin. Beide Prozesse – sowohl die Übernahme architektonischer Formen und Formeln von Gebäuden auf das Schiffsheck als auch der Transfer von architektonischen Elementen der Heckgestaltung zurück an Land – werden in der Ausstellung „Architectura navalis – Schwimmender Barock“ in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
Begleitband zur Ausstellung
Als Begleitband zur Ausstellung erscheint zeitgleich die Publikation „Schwimmender Barock. Das Schiff als Repräsentationsobjekt“ im be.bra Verlag, 160 Seiten, ca. 150 farbige Abb., Klappenbroschur, inklusive Pop-up-Schiffsmodell, 24 Euro, ISBN 978-3-89809-153-4 mit Essays der Kuratorin der Ausstellung Maike Priesterjahn, der Leiterin der Abteilung Schifffahrt und Nautik des Deutschen Technikmuseums Claudia Schuster, des Architekturhistorikers Prof. Dr. Jan Pieper, der Architekturwissenschaftlerin Prof. Dr. Anke Fissabre und des Kunstwissenschaftlers Dr. Markus Neuwirth. Das Buch ist in deutscher und in englischer Ausgabe erhältlich.