Gesellschaftliche Wurzeln der Raserei
Woher kommt der Tempo-Rausch in unserer automobilen Gesellschaft? Wieso beteiligen sich Menschen an illegalen Autorennen? Welche Möglichkeiten gibt es, dem entgegenzuwirken? Illegale Autorennen gelten als der Gipfel rücksichtsloser Raserei im Straßenverkehr. Drastisch führte das 2016 der Tod eines Unbeteiligten in Berlin vor Augen, der als „Kudamm-Raser-Fall“ Schlagzeilen machte. Obwohl Gesetzgebung und Strafverfolgung verschärft wurden, steigen die Ermittlungsverfahren weiter an. Berlin verzeichnet im Schnitt 800 bis 900 Fälle im Jahr. Dabei ist das Phänomen des Rasens weder neu, noch beschränkt es sich auf illegale Rennen. Der Blick der Ausstellung reicht von den historischen und gesellschaftlichen Wurzeln der Raserei in unserer automobilen Kultur bis hin zu den Maßnahmen, illegale Autorennen wirksam zu verhindern. Dazu gehören auch moderne Fahrerassistenzsysteme.
Neben vielen kleineren Objekten, Schautafeln und Medienstationen sind auch einige wenige Wracks aus illegalen Autorennen zu sehen. Zentrales Objekt der Ausstellung ist das Unfallauto des Opfers der Kudamm-Raser. Der Unfall löste einen Wandel in der Beurteilung illegaler Autorennen aus. Erstmals wurden hier Raser wegen Mordes verurteilt. 2017 wurde zudem ein Paragraf zu „Verbotenen Kraftfahrzeugrennen“ ins Strafgesetzbuch eingefügt, Das Museum zeigt in der Ausstellung Fahrzeuge von Unfällen, bei denen Menschen ums Leben kamen, um die Gefahren illegaler Rennen und allgemein der Raserei vor Augen zu führen. Dabei knüpft es an die Erfahrungen der Polizei Berlin an, die ein Unfallmotorrad seit vielen Jahren für die Unfallprävention nutzt. Die Präsentation der Fahrzeuge von Opfern illegaler Autorennen in der Ausstellung wird von den Hinterbliebenen unterstützt.
Was sind die Leitbilder unserer automobilen Kultur?
Die Ausstellung nimmt auch die Entwicklung von Leitbildern in den Blick, die Geschwindigkeit, Wettkampf und antiquierte Männlichkeitsideale verherrlichen. In unserer automobilen Kultur ist das Ideal „starker“ und durch Wettbewerb „gestählter“ Männlichkeit noch immer allgegenwärtig. In den 1990er Jahren fand eine ungezügelte Entfesselung der PS-Spirale statt: Die Automobilwirtschaft schraubte die Leistung und Schnelligkeit ihrer Fahrzeuge immer höher, Leasing, Miet- und Gebrauchtwagen ermöglichten es nun vielen Menschen, schnelle Autos zu fahren. Die Alltagskultur gab dem PS- und Tempo-Wahnsinn ebenfalls neue Nahrung: Die Tuningszene wurde stärker, das Interesse an der Formel 1 stieg in ungeahnte Höhen. Computerspiele mit zunehmend realistisch wirkenden Rennen kamen auf den Markt. Musikvideos zeigen bis heute gerne zufriedene Männer in schnellen Autos, die von leicht bekleideten Frauen angehimmelt werden.
Wie stoppen wir den Tempo-Rausch?
Durch die Zunahme illegaler Autorennen und die tragischen Unfälle der letzten Jahre verstärken sich die Bemühungen, diese Form der Raserei einzudämmen. Nur ein Teil richtet sich dabei ausschließlich gegen illegale Autorennen. Viele Maßnahmen nehmen Geschwindigkeitsüberschreitungen im Allgemeinen in den Blick: schärfere Gesetze, eine strengere Strafverfolgung und eine Form der Verkehrserziehung, die mehr Gewicht auf das Rasen und seine Gefahren legt.
Im Fokus sind auch technische Lösungen wie eine automatische Geschwindigkeitsbeschränkung im Fahrzeug. Die dafür nötigen Fahrerassistenzsysteme, auch bekannt als Intelligent Speed Assistance, werden in der Europäischen Union ab 2022 in allen neuen Fahrzeugtypen Pflicht, bleiben allerdings bis auf Weiteres abschaltbar. Die Diskussion um Fahrerassistenzsysteme dreht sich um gesellschaftliche Grundsatzfragen: Kann ein durch Technik verursachtes Problem durch mehr Technik gestoppt werden? Beschneiden Fahrerassistenzsysteme die Verantwortung und Freiheit der Bürgerinnen und Bürger? Oder sind sie in Anbetracht der Unfälle notwendig?
Am Ende der Ausstellung werden die Besucherinnen und Besucher dazu eingeladen, über eine Medienstation zu diesen und anderen Fragen rund um illegale Autorennen und den Tempo-Rausch in unserer automobilen Kultur ihre Meinung abzugeben.
Die Ausstellung ist entstanden in Kooperation mit der Polizei Berlin.